Kann eine Insolvenz „ausgesetzt“ werden?
Anmerkungen zum COVID-19. Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG)
Die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöste Krise hat auch zu einer Änderung des Insolvenzrechts geführt. Insolventen Unternehmen wird dadurch bis auf Weiteres der Gang zum Insolvenzgericht erspart. Mit diesem in kürzester Zeit auf den Weg gebrachten „Rettungsgesetz“ sollen die Unternehmen Zeit und Gelegenheit erhalten, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit, insbesondere unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden staatlichen Hilfen, gegebenenfalls aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen, zu beseitigen.
Ob sich diese Regelung als hinreichend erweisen wird, eine Insolvenzwelle in Folge des rasanten wirtschaftlichen Niedergangs zu verhindern, ist jedoch fraglich.
Der eigentliche Zweck der nunmehr größtenteils ausgesetzten Insolvenzantragspflicht liegt darin, nicht überlebensfähige Unternehmen frühzeitig, d.h. in der Regel noch vor Eintritt der Zahlungsfähigkeit, zur Verhinderung größerer Schäden aus dem Markt zu nehmen.
Das im Eiltempo verabschiedete Gesetz besagt nun, dass diese Insolvenzantragspflicht zunächst bis zum 30. September 2020 (mit Verlängerungsoption auf den 31. März 2021) ausgesetzt ist, wenn
- die Insolvenzreife eines Unternehmens auf die Pandemie zurückzuführen ist und
- Aussichten bestehen, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Sollte nicht bereits am 31. Dezember 2019 eine Zahlungsunfähigkeit vorgelegen haben, wird beides vermutet: Dass die Insolvenzreife auf der Pandemie beruht sowie dass Aussichten darauf bestehen, selbige zu beseitigen.
Insolvente Unternehmen nehmen nunmehr legal am Marktgeschehen teil!
Alleine der Umstand, dass ein Unternehmen von der Insolvenzantragspflicht befreit wird, führt freilich nicht dazu, dass damit die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt ist. Ebenso wenig ist sichergestellt, dass – selbst unter Inanspruchnahme der staatlichen Hilfs- und Fördermaßnahmen – die Bemühungen der betroffenen Unternehmer in der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit münden.
Es steht bereits heute fest, dass Geschäftsmodelle, welche bislang auch aufgrund des niedrigen Zinsumfeldes in Teilen mehr schlecht als recht funktional waren, nicht mehr überlebensfähig sein werden. Ebenso gibt es zahlreiche Unternehmen, deren Kapitaldienstfähigkeit bereits vor der Krise extrem ausgereizt war, so dass die Aufnahme weiterer Darlehen nicht als Krisenbewältigungsinstrument herangezogen werden kann.
In der Folge ist davon auszugehen, dass zahlungsunfähige Unternehmen in deutlich höherem Umfang als bisher, womöglich bis zu einem Jahr, legal am Marktgeschehen teilnehmen werden. Zwar ist explizit geregelt, dass bei fehlender Aussicht auf die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit die Antragspflicht weiterhin besteht, doch vermag eine solche, in hohem Maße subjektive Einschätzung die Problematik nicht nennenswert abzuschwächen.
Bei der Verfolgung des Ziels, die zur Umsetzung der Hilfsprogramme und Normalisierung der wirtschaftlichen Situation nötige Zeit zu gewinnen, um so zu verhindern, dass eine Vielzahl von vor der Krise wirtschaftlich solider Unternehmen in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden, nimmt der Gesetzgeber – quasi als Kollateralschaden – bewusst und gewollt hin, dass sogenannte „Zombie Unternehmen“ weiter im Markt agieren dürfen und dadurch virusgleich andere Unternehmen anstecken. Sie werden auf Unternehmen mit Vorerkrankungen treffen und selbige mit in den Abgrund ziehen, indem sie etwa Bestellungen tätigen, ohne die Gegenleistung erbringen zu können, oder Aufträge annehmen, ohne selbige ausführen zu können.
Unternehmen mit einem funktionierenden internen Kontrollsystem (gesunden Immunsystem) werden die Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen verweigern, um nicht angesteckt zu werden, oder aber mindestens auf Sicherheiten und Vorleistungen bestehen, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Bereits letzteres schützt jedoch nicht umfassend davor, erhaltene Gegenleistungen in einem späteren Insolvenzverfahren ggfs. wieder zurückerstatten zu müssen.
Verstärkt wird die Problematik durch den Umstand, dass einem Zombie-Unternehmen nicht auf den ersten Blick anzusehen ist, dass es sich um ein solches handelt, was zwangsläufig dazu führt, dass das Misstrauen im Markt insgesamt ansteigen wird. Und was Vertrauensverlust zwischen Marktteilnehmern bewirken kann, lässt sich unter anderem an den Folgen der letzten Finanzkrise ablesen.