Reform der Wegzugsbesteuerung
Mit Wirkung zum 01.01.2022 wurde die Wegzugsbesteuerung in wichtigen Punkten geändert, insbesondere was die Stundungs- und Rückkehrregelung anbelangt.
Nach der Neuregelung führt die Wegzugsbesteuerung zu einer fiktiven Anteilsveräußerung zum gemeinen Wert, sofern eine Privatperson unabhängig von der Staatsangehörigkeit
- insgesamt sieben der letzten zwölf Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war,
- mit mindestens 1 % an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist und
- Deutschland aufgrund eines Wegzugs oder einer unentgeltlichen Übertragung (Schenkung oder Vererbung) das Besteuerungsrecht an den stillen Reserven verliert.
Stundungsregelung
Die bis 2021 anwendbare Regelung sah in EU-/EWR-Fällen eine zinslose und unbefristete Stundung der aus der fiktiven Anteilsveräußerung resultierenden Wegzugsteuer ohne Sicherheitsleistung bis zur Anteilsveräußerung vor. In Drittstaatenfällen war demgegenüber nur eine verzinsliche Stundung über fünf Jahre im Regelfall nur gegen Sicherheitsleistung möglich.
Die Neuregelung sieht nun eine deutliche Verschärfung in EU/EWR-Fällen vor, weil eine zinslose Stundung nur noch in sieben Jahresraten und in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung möglich ist. Diese Änderung gilt in gleicher Weise für Drittstaaten, so dass insoweit eine Verbesserung eingetreten ist. Die erste Jahresrate wird direkt einen Monat nach Erlass des Steuerbescheids fällig, die übrigen sechs Jahresraten jeweils zum 31.07. der Folgejahre.
Die Kommentierung geht aber nahezu einhellig davon aus, dass die Neureglung unionsrechtswidrig ist, weil die vom Gesetzgeber als Rechtfertigungsgrund herangezogene EuGH-Rechtsprechung nur für Verlagerungen im betrieblichen Bereich, nicht aber für solche im Privatvermögen anwendbar ist.
Wegfall bei nur vorübergehender Abwesenheit
Die für die Praxis sehr wichtige Rückkehrerregelung, wonach die Wegzugsteuer bei nur vorübergehender Abwesenheit rückwirkend entfallen kann, wenn der Steuerpflichtige seinen inländischen Wohnsitz innerhalb einer bestimmten Frist wieder begründet, wird beibehalten und sogar entschärft.
Nach der Altregelung entfiel der Steueranspruch rückwirkend, wenn ein Steuerpflichtiger, der mit der Absicht zur Rückkehr ins Ausland verzog, nach fünf Jahren wieder unbeschränkt steuerpflichtig wurde (mit einer Verlängerungsoption auf 10 Jahre). Entscheidend für die Praxis war bisher, dass die Rückkehrabsicht für den Wegzug bereits zum Zeitpunkt des Wegzugs gegenüber dem Finanzamt glaubhaft gemacht wurde. Die damit verbundenen Streitfragen sind aktuell Gegenstand des beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Revisionsverfahren I R 55/19 (vgl. hierzu unser Beitrag vom 04.05.2020).
Die Neuregelung sieht demgegenüber keine Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht mehr vor, vielmehr reicht künftig die bloße Absichtserklärung zur Rückkehr aus. Zudem wird die Rückkehrfrist nunmehr auf sieben Jahre verlängert mit einer Verlängerungsoption um weitere fünf Jahre (also auf insgesamt zwölf Jahre). Mit dieser zu begrüßenden Entschärfung sollen insbesondere Wegzüge im Rahmen von international tätigen Startups erleichtert werden. Der Wegfall der Wegzugsteuer im Rückkehrzeitpunkt setzt allerdings voraus, dass u.a. keine zwischenzeitlichen Veräußerungen / schädlichen Übertragungen erfolgt sind. Zudem dürfen keine Gewinnausschüttungen in Höhe von mehr als 25 % des Werts der Anteile beim Wegzug erfolgen.
Abschließend ist zur Anwendung der Altregelung ergänzend darauf hinzuweisen, dass das Finanzgericht Baden-Württemberg am 31.08.2020, 2 K 835/19, entschieden hat, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rs. Wächtler, C-581/17, das System der Wegzugsbesteuerung im Verhältnis zur Schweiz als rechtswidrig anzusehen sei, sofern der Wegziehende die Kriterien eines Selbständigen im Sinne des Freizügigkeitsabkommens zwischen der EU und der Schweiz vom 21.06.1999 erfülle. Es ist nicht auszuschließen, dass die zu diesem Verfahren beim BFH anhängige Revision unter dem Az. I R 35/20 auch Auswirkungen auf die potentiell unionsrechtswidrige Neuregelung haben kann.